Grüß Gott,
Ich finde es schade, dass ich als Wiener und Steuerzahler nicht abstimmen darf. Ich bin zwar nichtösterreichischer EU-Bürger, wohne aber seit mehr als dreieinhalb Jahren in Wien. Es ist ja meiner Meinung nach legitim, dass ich mitbestimmen darf!
Zu den 5 ausgesuchten Themen habe ich natürlich eine Meinung. Warum zählt sie dann nicht, nur weil ich kein Österreicher bin? Warum bekomme ich die Wien-Zeitung, wo es groß geschrieben steht "Wien will's wissen", wenn Wien's nicht wissen will?
Danke für Ihre Antwort.
MfG, AR
Sehr geehrter Herr R.,
Volksbefragungen sind Instrumente direkt demokratischer Willensbildung und sind in der österreichischen Bundesverfassung verankert. Artikel 49b Absatz 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes sieht eine Volksbefragung über Angelegenheiten von grundsätzlicher und gesamtösterreichischer Bedeutung vor, zu deren Regelung die Bundesgesetzgebung zuständig ist. Eine Volksbefragung hat dann stattzufinden, sofern der Nationalrat dies auf Grund eines Antrages seiner Mitglieder oder der Bundesregierung nach Vorberatung im Hauptausschuss beschließt. Wahlen sowie Angelegenheiten, über die ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde zu entscheiden hat, können nicht Gegenstand einer Volksbefragung sein.
Nach Artikel 49b Absatz 3 des Bundes-Verfassungsgesetzes ist bei Volksbefragungen stimmberechtigt, wer am Befragungstag das Wahlrecht zum Nationalrat besitzt.
Für die Gemeinde sieht das Bundes-Verfassungsgesetz in Artikel 117 Absatz 8 vor, dass in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde der Landesgesetzgeber die unmittelbare Teilnahme und Mitwirkung der zum Gemeinderat Wahlberechtigten vorsehen kann.
Die österreichische Bundesverfassung sieht in Artikel 117 Absatz 2 als Voraussetzung für das Wahlrecht zum Gemeinderat aller österreichischen Gemeinden die österreichische Staasbürgerschaft vor. Damit ist diese gemäß Artikel 117 Absatz 8 der österreichischen Bundesverfassung aber auch Voraussetzung für die Teilnahme an einer Volksbefragung in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde.
Zum Gemeinderat in Wien wahlberechtigt sind alle Frauen und Männer, die am Wahltag das 16. Lebensjahr vollendet haben und am Stichtag die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, vom Wahlrecht (z.B. auf Grund einer gerichtlichen Verurteilung) nicht ausgeschlossen sind und im Gemeindegebiet von Wien ihren Hauptwohnsitz haben (§ 16 Absatz 1 der Wiener Gemeindewahlordnung).
In Wien hat der Gemeinderat nach Artikel 108 des Bundes-Verfassungsgesetzes auch die Funktion des Landtages. Dementsprechend sieht auch § 113 der Wiener Stadtverfassung vor, dass der Gemeinderat der Stadt Wien auch Landtag für Wien ist. Wird daher in Wien der Gemeinderat gewählt, so erfolgt damit gleichzeitig auch die Wahl zum Wiener Landtag. EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, die die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzen, sind daher wegen der Identität von Wiener Gemeinderat und Wiener Landtag verfassungsrechtlich nicht berechtigt, an der Gemeinderatswahl in Wien teilzunehmen (sondern sind diese Bürgerinnen und Bürger nach § 16 Absatz 2 der Wiener Gemeindewahlordnung nur zur Teilnahme an den Bezirksvertretungswahlen berechtigt). Diese innerösterreichische Rechtslage deckt sich auch mit Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a) der Richtlinie 94/80/EG und Artikel 1 der Richtlinie 96/30/EG.
Da - wie oben dargestellt - die österreichische Bundesverfassung in Artikel 117 Absatz 8 regelt, dass der Landesgesetzgeber die unmittelbare Teilnahme und Mitwirkung in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches nur jener Personen vorsehen kann, die zum Gemeinderat wahlberechtigt sind, stehen einer landesgesetzlichen Regelung, wonach nicht-österreichische EU-Bürgerinnen und EU-Bürger an einer Volksbefragung in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde teilnehmen können, bundesverfassungsgesetzliche Grenzen entgegen, die von den Bundesländern und daher auch vom Land Wien nicht verletzt werden dürfen.
Eine landesgesetzliche Regelung, mit welcher auch nicht-österreichischen EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern ein Recht auf Teilnahme an einer Volksbefragung in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde eingeräumt würde, wäre daher verfassungswidrig.
Wir versichern Ihnen, dass die Wiener Stadtregierung in der Vergangenheit bereits zahlreiche politische Anregungen und Initiativen unternommen hat, um Wienerinnen und Wienern mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft die demokratische Teilnahme an der politischen Gestaltung ihres Umfeldes zu ermöglichen.
Der Wiener Landtag hat in seiner Sitzung vom 13.12.2002 eine Änderung der Wiener Stadtverfassung und der Wiener Gemeindewahlordnung 1996 betreffend die Einräumung des aktiven und passiven Wahlrechts für Migrantinnen und Migranten aus dem Nicht-EU-Raum zu den Wiener Bezirksvertretungen unter der Voraussetzung eines ununterbrochenen Aufenthaltes mit Hauptwohnsitz in Wien von mindestens fünf Jahren beschlossen.
Am 15.9.2003 begehrten die ÖVP- und FPÖ-Abgeordneten des Wiener Landtages die Aufhebung des AusländerInnen-Wahlrechts zu den Wiener Bezirksvertretungen beim Verfassungsgerichtshof. Der Verfassungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 30.6.2004, G218/03, das Wahlrecht für Nicht-EU-AusländerInnen zu den Wiener Bezirksvertretungen mit der Begründung auf, dass Artikel 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes und der dort verwendete Begriff "Volk" ein Wahlrecht zu allgemeinen Vertretungskörpern ausschließlich österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern vorbehalte.
Die Wiener Stadtregierung hat seither mehrere Initiativen zur Änderung der Bundesverfassung zum Zweck der Ermöglichung der demokratiepolitischen Partizipation von Ausländerinnen und Ausländern auf kommunaler Ebene unternommen. Bedauerlicher Weise ist bisher die für eine Änderung der Bundesverfassung erforderliche Zweidrittelmehrheit im Nationalrat nicht zustande gekommen.
Wir bedauern, Ihnen mangels bundesverfassungsgesetzlicher Grundlagen keine andere Mitteilung machen zu können.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Team von Wien will's wissen
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